Der Klopfgeist

Rätselhafte Zeichen im Wiltener Kloster mitten in der Nacht. Alte und moderne Geisterstories aus dem Stift Wilten.

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Rätselhafte Zeichen im Wiltener Kloster mitten in der Nacht. Alte und moderne Geisterstories aus dem Stift Wilten.

Man sollte es nicht für möglich halten, dass in einem Haus, wo moderne Smartphones klingeln und Rundfunkgeräte spielen, höchst unmoderne Geister umgehen. Noch weniger sollte man glauben, dass Menschen, die mit beiden Füßen im Leben stehen, diese Geister mit eigenen Ohren hörten und an ihre Existenz glauben. Und dennoch ist es so. Im Stift Wilten leben und lebten eine Reihe von Chorherren, denen ein Klopfgeist regelmäßig Besuche abstattete. Zu ihnen gehörte auch der als ernster Geschichtsforscher bekannte Abt Heinrich Schuler.

Der Klopfgeist von Wilten muss ein alter Freund des Stiftes sein. Schon in den Tagebüchern des Abtes Alois Röggl (gestorben 1851) ist die Rede von ihm.

Abt Röggl vermutete, dass der Klopfgeist niemand anderer sei als ein Bauer aus Rinn, der im Jahre 1721 die Errichtung eines neuen Widums durch seine Starrköpfigkeit verhinderte und daher zur Strafe „umgehen“ muss. Tatsächlich wurde damals das neue Pfarrhaus in Tulfes und nicht in Rinn errichtet.

Wie meldet sich nun dieser angebliche Bauer aus dem östlichen Mittelgebirge?

Darüber ließen wir uns nicht aus vergilbten Chroniken, sondern aus dem Mund von Männern berichten, die versichern, den Klopfgeist mit eigenen Ohren gehört zu haben. „Die meisten in unserem Stift glauben nicht an ihn“, erklärte uns einer der jüngeren Chorherren, „wer ihn aber einmal vernommen hat, kann nicht leugnen, dass es tatsächlich einen Klopfgeist in unseren Mauern gibt. Dazu gehöre auch ich. Unser Geist ist ein Muster der Pünktlichkeit. Er kommt immer um halb drei in der Nacht. Um diese Stunde klopft er wie mit einer knöchernen Hand laut und vernehmlich an die Türen mancher Zimmer, dann kommt eine kleine Pause, und hierauf folgen rasch hintereinander fünf oder sechs kurze, aber sehr markante Schläge. In Jahren, wo die Sommerzeit eingeführt war, meldete sich der Klopfgeist um halb vier Uhr.“ – „Ist es nicht möglich, dass alle, die an den Klopfgeist glauben, Opfer einer Sinnestäuschung sind?“ – „Ich halte dies für unwahrscheinlich, denn jeder schildert das akustische Phänomen in gleicher Weise. Überdies gab es Chorherren, die zu gewissen Zeiten mehrmals in der Woche um dieselbe Stunde besucht wurden. Dies schließt eine Täuschung wohl aus. Der vor mehreren Jahren verstorbene Chorherr Kortleitner z. B. wurde mit solcher Regelmäßigkeit aus dem Bett geklopft, dass er sich entschloss, überhaupt um halb drei Uhr aufzustehen und auf das Zeichen zu warten. Der Geist hatte ihn so weit gebracht, dass Herr Xaver fortan seine orientalischen Sprachstudien um halb drei Uhr früh begann. Merkwürdig ist, dass der Klopfgeist sich immer nur bei Chorherren, nie aber bei Laienbrüdern meldet.

Besondere Vorliebe scheint der vor etwa 200 Jahren ins Jenseits abberufene, aber immer noch ruhelose Bauer aus Rinn für den Friedhofsdirektor gehabt zu haben. Als er einmal um die gewohnte Stunde bei Dominus L. anklopfte, sagte dieser: „Der Mann, den du suchst, ist heute in Amras.“ Am nächsten Tag erzählte der alte Pfarrer von Amras, dass er kurz nach halb drei Uhr den Klopfgeist gehörte habe.

Eine merkwürdige Episode berichtete uns der Pfarrer von Wilten, der seit über 60 Jahren im Stifte lebte: „Es war am 30. Oktober 1930, als ich zum Pfarrer von Wilten bestellt wurde. Ich hatte wohl schon oft aus dem Munde älterer Mitbrüder von unserem Klopfgeist gehört, aber nie seinen Besuch empfangen. Da plötzlich erwachte ich in der Nacht zum Dreißigsten durch das bewusste Zeichen. Mit einem Sprung war ich bei der Türe, denn ich vermutete, dass mich ein im Sterben liegender Mitbruder verlangte. Ich riss die Türe auf und blickte auf den langen, elektrisch erleuchteten Gang hinunter. Nichts. Es war sicher der Klopfgeist. Vielleicht wollte er mich daran erinnern, dass ich nicht nur der Pfarrer der Lebenden, sondern auch der Seelsorger der Toten sein müsste, die auf den Wiltener Friedhöfen liegen. Jedenfalls habe ich am darauffolgenden Sonntag darüber gepredigt.“

Als zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft das Wiltener Kloster von Parteidienststellen besetzt wurde, quartierte sich im Priorat eine damals bekannte Parteigröße ein. Bestimmt ein Mann, der, frei von jedem Geisterglauben, einen neuen Geist in die alten Mauern bringen wollte. Es wurde ihm aber schwer gemacht. Als er sich eines Morgens von der Magd das Frühstück ins Zimmer servieren ließ, stand der wackere Mann an allen Gliedern zitternd da und erklärte: „Was ist das für eine verrückte Hütte? Da klopft es mitten in der Nacht und kein Mensch steht vor der Türe…“ Wenige Tage später verließ er wütend das Priorat, wo er sich allzu gerne eine komfortable Wohnung eingerichtet hätte. „Der Klopfgeist hat ihn vertrieben“, sagten damals die aus dem Stift verjagten Chorherren.

Ein seltsames Erlebnis hatte auch der Begründer der amerikanischen Mission der Wiltener Chorherren, Dominus Max Gärtner (gestorben 1877). Als er nach vielen Abenteuern im Wilden Westen nach Wilten zurückgekehrt war, bewohnte er das Zimmer Nummer sechs. Eines Nachts wachte Herr Max plötzlich auf und sah wie auf seinem Betschemel ein Mann kniete, er war in der Tracht des Empire gekleidet. Als unerschrockener Weltreisender ließ er sich durch die Erscheinung keineswegs stören, sondern vermutete, dass der Mann ein Beamter aus der Zeit 1808 bis 1816 war, wo die Bayern das Wiltener Stift unter ihre Verwaltung gestellt hatten. Nach einiger Zeit war der seltsame Gast verschwunden.

Weniger mutig hingegen zeigte sich in den Jahren um 1900 ein Höttinger Heizer, der die Aufgabe hatte, jeden Morgen vom Gang aus die Öfen der Chorherren zu heizen. Dieser Mann berichtete folgendes: „Von einem gewissen Tag an ist mir jedesmal, wenn ich in der Frühe vom Kreuzgang ins Refektorium ging, ein weißer Mönch gefolgt. Wenn ich stehenblieb, blieb auch er stehen. Ich hatte den Mann nie im Leben gesehen und fürchtete mich sehr. An der Tür zum Refektorium aber machte er stets halt und folgte mir nicht weiter.“ Der Heizer verließ alsbald seine Stelle. Auf seinen Bericht hin erinnerte man sich an das Stiftstotenbuch aus dem Jahre 1585, worin ein gewisser Hieronymus Poxdorfer verzeichnet steht. „Inventus est mortuus noctu in refectorio.“ (Man hat ihn in der Nacht tot im Refektorium aufgefunden.) Von demselben Poxdorfer, der mitten in der Nacht bestimmt nichts im Refektorium zu suchen hatte, melden die Stiftsanalen noch, dass er anlässlich einer bevorstehenden Visitation durchgebrannt sei. Sollte vielleicht der Höttinger Heizer von einem Poxdorfer ins Bockshorn gejagt worden sein?

Unsere letze Frage an den Gewährsmann für Klopfgeister lautete: „Wann hat sich ihr Hausgeist zum letzten Male gemeldet? – „Er ist seit dem Kriegsende schon wiederholt dagewesen. Sogar beim Abt, der auf das bekannte Zeichen stets mit einem lauten „Herein“ antwortete. Da wir aber keine Geisterbücher führen, weiß ich kein genaues Datum, wann es bei uns zum letzten Male geklopft hat. Es sind erst wenige Monate her. Jedenfalls scheint der Geist immer noch keine Ruhe gefunden zu haben. Wir beten daher jedesmal, wenn er sich meldet, ein Vaterunser für die arme Seele und machen uns weiter nichts daraus.“

Mit fühlbarem Herzklopfen, dessen Ursache aber wohl in dem Mocca double lag, den wir kurz vor unserem Besuch im Stift Wilten genossen hatten, verließen wir das Zimmer des geisterbesuchten Chorherren. Schade, dieser Klopfgeist wäre eigentlich das richtige für einen Mikrophonreporter gewesen. Aber Geister lieben die Technik bekanntermaßen nicht.

(Herbert Buzas; Tiroler Tageszeitung 08.10.1949)

Über den Autor

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Maximilian Markschläger

Maximilian ist im Jahr 2000 geboren und wuchs im Innsbrucker Stadtteil Pradl auf. Über 10 Jahre lang ministrierte er in der Pfarrkirche Pradl. Die Pfarre Pradl ist eine Stiftspfarrei, und so war Maximilian schon früh mit dem Stift Wilten vertraut.

Seit 2018 ist er ehrenamtlich für die Ministranten des Stiftes Wilten verantwortlich. Im Sommer 2020 wurde ihm die Verantwortung für den digitalen Bereich des Klosters übertragen. Seine Aufgabe ist es, die Spiritualität des Ordens der Prämonstratenser über die digitalen Medien zu verbreiten.

Produktionen von cinematischen Videos, die neue Homepage, Social Media und Kollaborationen im sozialen Bereich sind dabei seine Kernbereiche.

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