Miriam Trojer, Archiv- und Bibliotheksleitung
„Stift Wilten: Ein Ort, wo Geschichte lebendig wird!“
IN DIESER LEKTION
Gestern & heute
Das Stift Wilten ist ein Ort, an dem Geschichte lebendig bleibt. Hier begegnen sich Vergangenheit und Zukunft: Jahrhundertealte Traditionen werden bewahrt und gleichzeitig mutig in die heutige Zeit übersetzt. Es ist ein Erbe, das verpflichtet – ein Zeugnis von Glaube, Kultur und Gemeinschaft, das weitergeführt und neu gestaltet werden soll, stets am Puls der Zeit.
Liebe – und dann tu, was du willst!
Der Gründer: Riese Haymon
Die Sage berichtet, dass ein Riese namens Haymon nach einem Kampf mit dem einheimischen Riesen Tyrsus zur Sühne ein Kloster erbaut habe (um 878).
-
Wilten, einst als Veldidena bekannt, spielte in der Römerzeit eine zentrale Rolle als strategisches und logistisches Zentrum. Im heutigen Nordtirol, damals Teil der römischen Provinz Rätien, sorgten eine Straßenstation und ein befestigtes Lager für die Sicherung wichtiger Handels- und Militärwege. Der Name Veldidena, vermutlich vorrömischen Ursprungs, bezieht sich auf den Standort, von dem aus das Unterinntal und der Seefelder Sattel zugänglich waren.
Das Kastell und seine Bedeutung
Ende des 3. Jahrhunderts errichteten die Römer ein mächtiges Kastell, um sich gegen die germanischen Einfälle zu schützen. Es lag nördlich des heutigen Stiftes Wilten und bestand aus dicken Mauern, vier Ecktürmen und einem rechteckigen Grundriss. Die umliegenden Siedlungen, wie Funde aus Hötting belegen, profitierten wirtschaftlich von der Militärstation. Der Siedlungsbereich beschränkte sich jedoch auf den Raum um das heutige Stift und die Basilika.Von Kultstätte zur Kirche
Schon vor der Christianisierung könnte Veldidena eine Kultstätte beherbergt haben, möglicherweise zur Verehrung des Lichtgottes Mithras. Mit der Ausbreitung des Christentums errichteten die Römer eine Kirche, die dem heiligen Laurentius geweiht war. Unter der heutigen Basilika fanden Archäologen Überreste einer Kirche aus dem 5. Jahrhundert. Diese könnte sowohl als Bischofs- als auch Gemeindekirche gedient haben, wobei genaue historische Belege fehlen. Der Übergang von der römischen Militärstation zu einem christlich geprägten Ort markiert den Wandel, der Wilten zu einem spirituellen Zentrum werden ließ. -
Die Schola erfüllt zwei zentrale Aufgaben: Sie gestaltet Gottesdienste in der Stiftskirche und vermittelt gleichzeitig die Choraltradition an junge Mitglieder des Konvents sowie an interessierte Menschen. Damit trägt sie zur Bewahrung und Weitergabe dieser ursprünglichen Kirchenmusik bei.
Die Sage über den Riesen Haymon
„Als Tag und Jahr verloffen war Achthundert schon verstrichen Zu siebzig acht hats auch schon gmacht Da Haymon Tods verblichen. Der tapfre Held hat sich erwählt Ein Kloster aufzuführen: Gob alls hinein ging selbst auch drein Wolts doch nicht selbst regieren Hat löblich glebt, nach Tugend gstrebt Ein Spiegel war Er allen Riß hin, Riß her, ist nicht mehr Er ins Grab ist Er hier gfallen.“
Der Riese Haymon
Der Riese Haymon dürfte ein bayerischer Adeliger und Gefolgsmann des Herzogs Tassilo gewesen sein. Seine Spuren könnten aufgrund der Absetzung des Herzogs bewusst verwischt worden sein. Das Volk gestaltete eine Sage, um so die geschichtlichen Lücken der Anfänge des Klosters zu schließen. Der Legende nach soll er über den Zirlerberg in das Inntal gewandert sein. Er geriet in Streit mit dem einheimischen Riesen Thyrsus und erschlug diesen mit dem Schwert. Als Wiedergutmachung soll Haymon selbst ein Kloster bei der alten Laurentiuskirche erbaut haben. Ein Drache, der die Sillschlucht behauste, zerstörte das Bauwerk immer wieder, bis Haymon ihn tötete und ihm die Zunge herausriss. Die Drachenzunge befindet sich heute im Stiftsmuseum.
Zerstörung im 2. Weltkrieg
Die vielen Aufbrüche der ersten Nachkriegszeit, vor allem in der Jugendseelsorge, fanden ein jähes Ende im Nationalsozialismus. 1939 wurde Abt Schuler gezwungen, das Stift zu verkaufen.
-
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1938 begann eine schwierige und bedrohliche Phase für das Stift Wilten. Bereits 1939 wurde Abt Schuler gezwungen, eine “Verkaufsurkunde” zu unterzeichnen, die die Stiftsgebäude und den gesamten Grundbesitz an den Gau übertrug. Der Abt und die Konventualen mussten auf die Pfarrhöfe der inkorporierten Pfarreien ausweichen. Die Stiftskirche wurde geschlossen und das Hauptgebäude vom Arbeitsdienst genutzt. Währenddessen wurden viele Mitbrüder in ihrer Arbeit behindert, einige sogar verhaftet oder aus dem Gau verwiesen. Mitbruder Gerion starb im Konzentrationslager Dachau.
-
Die Bombenangriffe der Jahre 1943 und 1944 richteten erhebliche Schäden am Stift an. Am 13. Juni 1944 wurde die Stiftskirche nahezu zerstört. Der geplante Abriss des unversehrten Kirchturms hätte die Kirche endgültig in Schutt und Asche gelegt, doch dank des beherzten Eingreifens von Dr. Johanna Gritsch, der Assistentin des Landeskonservators, konnte dies im letzten Moment verhindert werden. Währenddessen blieb die Gemeinschaft des Stiftes stark. Der Abt hielt seine Mitbrüder zusammen, trotz der Verstreuung und der äußeren Widrigkeiten. In Brasilien fanden einige Mitglieder des Stiftes eine vorübergehende Wirkungsstätte, während andere weiterhin für die Bewahrung des Stiftsgeistes kämpften.
D. Siard Wimmer, Mitbruder während der NS-Zeit
„Ob das alte Veldidena in der langen Zeit der Völkerwanderung schlimmer verheert wurde als das moderne Wilten unter der kurzen Ära Adolf Hitlers, läßt sich füglich bezweifeln!“
“Kaufvertrag”
In der Bartholomäusnacht 1939 ging ein Geflüster durch die Zellen der noch wachen Mitbrüder:
Das Stift ist aufgehoben, morgen heißt es wandern!
Am frühen Morgen wussten es bereits alle. Am 26. August 1939 wurde der gesamte Besitz des Stiftes Wilten durch den Gauleiter Hofer in die Gauselbstverwaltung überführt und grundbücherlich übereignet. Nach der Bombardierung besichtigte der Gauleiter das Stift und gab den Befehl, den Turm zu sprengen. Es waren schon Sprenglöcher gebohrt, da setzte sich das Denkmalamt energisch zur Wehr. Frau Dr. Gritsch mobilisierte alle maßgeblichen Persönlichkeiten zur Verhinderung der Zerstörung des Klosters.