Zukunftsfit: Neuerungen in den Wiltener Pfarren
Veränderungen in den Wiltener Pfarren : Wir blicken gemeinsam in die Zukunft!...
WeiterlesenPredigt von Abt em. Raimund Schreier zum Patrozinium der Stiftskirche: Hl. Laurentius 13.8.2023 (Dankgottesdienst für 31 Jahre Hirtendienst)
Predigt von Abt em. Raimund Schreier zum Patrozinium der Stiftskirche: Hl. Laurentius 13.8.2023 (Dankgottesdienst für 31 Jahre Hirtendienst)
Mutti und der kleine Sohn gehen ins Konzert. Vor lauter Schreck erstarrt die Mutter, als sie in dem großen Konzertsaal ihren Sohn verloren hat. Kaum, dass die Mutter und ihr kleiner Sohn die Plätze eingenommen haben, erblickt die Frau fünf Reihen dahinter ihre Freundin, geht zu ihr, um ein paar Worte zu wechseln. Alleingelassen langweilt sich der Kleine, steht auf und begibt sich auf eine Erkundungstour. Landet schlussendlich vor einer Tür mit der Inschrift: „Nicht betreten“. Natürlich tritt er ein und findetin dem großen Raum ein Klavier. Da er längst schon Klavierstunden nimmt, setzt er sich hin und fängt an zu klimpern: „Bruder Jakob, frère Jacque…“ Plötzlich öffnet sich der Vorhang. Der Kleine sitztauf dem Podium. Die Mutter gleicht einer Salzsäule. Der Pianist kommt auf die Bühne, geht zum Klavier und flüstert zum Buben: „Hör nicht auf, spiel weiter“. Dann setzt er sich daneben und variiert das Thema. Die meisterhafte Improvisation des Pianisten gemeinsam mit dem Kleinen wurde zum Höhepunkt des Abends.
Diese Anekdote wird über den polnischen Pianisten Ignacy Paderewski erzählt. Sie vermittelt eine lebenswichtige Weisheit. Immer dann, wenn man verzagt, soll man aufmerksam auf die Stimme des göttlichen Meisters hören: „Hör nicht auf, spiel weiter“. Nur so kann das Spiel des Lebens gelingen.
Auf uns übertragen: Hören wir endlich auf, immer zu jammern, wie doch die Kirche zusammenschrumpft: es gibt immer weniger Kirchenbesucher, keine Priester und Ordensleute; die christlichen Werte verschwinden usf. Natürlich ist das alles sehr schmerzlich. Aber anstatt zu lamentieren, spielen wir doch die christliche Melodie des Evangeliums weiter – auch mit all unseren Dissonanzen, mit allen Fehlern und allem Danebenklimpern auf der Tastatur unseres Lebens. Der göttliche Pianist begleitet uns ja und verhilft uns zu einer himmlischen und wunderbaren Melodie. Er hat ja versprochen, immer bei uns zu sein.
Liebe Schwestern und Brüder! Wenn es uns täglich gelingt, die christliche Melodie herunterzuklimpern, so gut wir es eben zusammenbringen, wird uns der göttliche Pianist begleiten.
Spielen wir die Themen des Evangeliums in allen Variationen weiter: lieben wir – so wie Christus –, respektieren wir alle Menschen, verzeihen wir, stiften wir Frieden, richten wir nicht über andere, stehen wir Notleidenden bei, helfen wir unserem Nachbarn, der materielle oder seelische Hilfe braucht. So und nur so können wir die Größe und Schönheit des Reiches Gottes bezeugen, so wie ein hl. Laurentius, der für die Sache Jesu sogar sein Leben hingegeben hat.
Liebe Mitchristen! Nur durch die von uns selbst gespielte Melodie des Evangeliums, durch unser vorgelebtes Lebenszeugnis können wir dann andere davon überzeugen, wie schön es ist Christ zu sein, welch großen Schatz uns das Christentum schenkt: Regeln, Werte, Orientierungshilfen für ein geglücktes Miteinander. „Ut credatmundus – damit die Welt glaubt“, bittet Jesus im Hohepriesterlichen Gebet. Erbittet um die Einheit der Christen, damit die Welt Christentum als etwas Glückbringendes erkennt und annimmt. Ut credat mundus – das war auch mein äbtlicher Wahlspruch.
In der alten Kirche galt die Regel:„Willst du einen Menschen für Christus bekehren, dann lass ihn ein Jahr lang in deinem Haus wohnen.“ Stell dir vor, du lässt einen Menschen, der nichts vom Christentum weiß, ein Jahr lang bei dir wohnen? Was würde er sehen? Würde er eine christliche Familie erleben, einfühlsamen Umgang miteinander, wie man verzeiht und vergibt, oder würde er lernen nachtragend und rachsüchtig zu sein? Würde er erfahren, wie es ist, wenn man Böses mit Gutem vergilt, oder würde er lernen, Menschen zu verachten? Welches Glaubenszeugnis würde er sehen?
Würde er erleben, wie Menschen auf ihrem Recht beharren oder bereit sind, „das Reizklima des Rechthabenmüssens auszusetzen“ wie der vor kurzem verstorbene Schriftsteller Martin Walser schreibt.
Würde er die Kirche in ihrer Schönheit und in ihrem Glanz der Liebe erkennen, dort in deiner Kirche, in deinem Haus? Würde er auf eine Kirche treffen, die sich sehen lassen kann? Weil darin Menschen wohnen, die in Wort und Tat ihren Glauben überzeugend verkünden und vorleben?
Bitten wir den Diakon und Märtyrer Laurentius: Er möge uns Vorbild und Fürsprecher sein, damit die Kirche aller Getauften eine Kirche werde, die sich wieder sehen lassen kann: in der die diakonale Liebe und Solidarität, die „Mystik des Wir“ – wie Papst Franziskus immer wieder sagt, als Kennmelodie erklingt. Das wünsche ich auch meinem jungen und sehr engagierten Nachfolger im äbtlichen Amt: dass er und die Wiltener Kommunität, natürlich gemeinsam mit dem göttlichen Dirigenten weiterspielt, damit junge Menschen sich angezogen fühlen von der Melodie eines prämonstratensischen Lebens. Wir alle sind eingeladen, die Melodie des Evangeliums weiter zu spielen, so gut wir nur können; keine Sorge: der göttliche Pianist begleitet uns ja. So und nur so werden Menschen wieder hinfinden zum großen Glaubensschatz unserer Kirche: ut credat mundus! AMEN.